Ethereum (ETH): Ist das Netzwerk durch Protokollwechsel zentralisierter geworden?

Ethereum hat mit “The Merge” vor knapp einem Monat technologisch das Protokoll gewechselt. Skeptiker fragen: Ist mit dem jetzt verwendeten Proof-of-Stake Dezentralisierung bei ETH verloren gegangen?

Grundpfeiler für Vertrauen in Bitcoin und Co. sind die dezentralisieren Netzwerke von Kryptowährungen. Sie sollen garantieren, dass Transaktionen nicht beeinflusst werden können. Bei Ethereum (ETH), der zweitwichtigsten globalen Kryptowährung, wurde Mitte September mit “The Merge” die technologische Basis grundlegend geändert und das könnte auch Einfluss auf den Grad der Dezentralisierung im Ökosystem haben. Vor “The Merge” baute Ethereum wie Bitcoin (BTC) auf Proof-of-Work (PoW) auf, wo Miner Transaktionen bestätigen. Jetzt verwendet Ethereum Proof-of-Stake (PoS) als Protokoll, bei dem sogenannte Validatoren Transaktionen als gültig erklären.

Damit ein Netzwerkpunkt bei Ethereum Validator sein kann, müssen dort mindestens 32 ETH (aktueller Marktwert rund 42.000 US-Dollar) hinterlegt sein. Zusätzlich ist ein gewisses technisches Fachwissen nötig. Deshalb neigen Anleger dazu, das Staking ihrer ETH großen Anbietern zu überlassen. Beim Ethereum Staking als Service ist Lido Marktführer, aber auch die großen Kryptobörsen Binance, Coinbase und Kraken mischen kräftig mit. Zusammengerechnet sind Lido, Binance, Kraken und Coinbase gut 60 Prozent der gestakten ETH versammelt. Insgesamt sind rund 14 Millionen der insgesamt gut 120 Millionen Ethereum im Stake-Modus, also etwa 12 Prozent. Bei diesen ist demnach ein Trend hin zu weniger dezentralisierten Strukturen zu erkennen.

Ein praktisches Thema, bei dem Dezentralisierung in den Vordergrund rückt, wird Ethereum von US-Regulierungsbehörden aufgedrückt. Angeführt vom Office of Foreign Assets Control (OFAC), welches beim US-Finanzministerium angesiedelt ist, wird nämlich von Validatoren gefordert, bestimmte Transaktionen nicht zu bearbeiten. Dabei dreht es sich etwa um ETH Transaktionen, die von Adressen stammen, die mit dem Ethereum Mixer Tornado Cash in Berührung waren. Hier vermuten die Behörden Geldwäsche und illegale Aktivitäten. Coinbase beteiligt sich an einer Klage gegen OFAC, hält sich aber wie andere vorerst an die Regeln.

Doch Experten sehen im ETH Netzwerk weiterhin Zensurresistenz gewährleistet. Denn ein komplexes Regelwerk sorgt dafür, dass auch möglicherweise von der OFAC beanstandete ETH Transaktionen durch Validatoren bearbeitet werden. Hier könnten aber Auswege seltener werden, wenn die großen Staking Pools weiter an Marktmacht gewinnen. Andererseits macht es ein MEV (“maximal extractable value”) genannter Mechanismus Validatoren möglich, die Staking Rewards zu optimieren, welche als Belohnung an Validatoren ausgeschüttet werden. Unter den Staking Pools, die MEV einsetzen, sind bisher solche in der Minderheit, die sich an die Auflagen von OFAC halten wollen.

Die Situation in Sachen Staking wird sich bei Ethereum voraussichtlich dann ändern, wenn das Update “Shanghai” in Kraft tritt und gestakte ETH auch wieder abgezogen werden können. Bis zu dem für 2023 erwarteten Update sind gestakte Ethereum im Netzwerk fest hinterlegt. Für das Staking von Ethereum gibt es aktuell knapp 5 Prozent anvisierten Jahreszins. Wer aber Ethereum über DeFi-Services wie Nexo oder CakeDeFi für Leihgeschäfte zur Verfügung stellt, kann durchaus 6 Prozent Jahreszins erzielen. Deshalb wird erwartet, dass nach Shanghai der Anteil gestakter ETH sinkt und mehr Ethereum wieder in den freien Umlauf kommt. Freie Auswahl bei der Entscheidung, wie ETH passives Einkommen generieren, bedeutet auch, dass Anleger gezielt solche Services unterstützen könnten, die Einflüsse wie von OFAC grundsätzlich ablehnen.

Fazit: Vertrauen in Ethereum scheint gewährleistet

Du merkst: Das Themenfeld Dezentralisierung wird bei Ethereum von diversen Faktoren beeinflusst, darunter externe wie OFAC. Der Protokollwechsel durch “The Merge” macht tendenziell große Service-Anbieter im Netzwerk mächtiger, aber es ist nicht in Sicht, dass ein einzelner Pool andere überstimmen könnte. So scheint der Level an Dezentralisierung bei Ethereum weiterhin ausreichend, um dem Ökosystem Vertrauen zu schenken. Generell zeigen auch die Beispiele anderer großer Ökosysteme wie Solana (SOL) und Binance Coin (BNB), dass absolute Dezentralisierung für den Marktwert eines Altcoins nicht mehr unbedingt entscheidend sind. Anleger und Projekte wählen ihr Ökosystem eher nach Kriterien wie Anwendungsfällen, Kapazität und Transaktionsgebühren aus. Hier war Ethereum mit seiner Vormacht in den Sparten DeFi und NFTs trotz hoher Transaktionsgebühren schon vor “The Merge” bestens aufgestellt. Es ist bislang nicht zu erkennen, dass Kapital von ETH wegen Bedenken über Dezentralisierung abgezogen wird.


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